Flaute im Bett…wenn eine Partnerschaft nur lange genug dauert, passiert es in jeder Beziehung, dass der Sex hier und da mal langweilig ist oder selten stattfindet. Ja, auch in den besten Beziehungen. ♥
Das heißt nicht, dass die Liebe zum Scheitern verurteilt wäre, ganz im Gegenteil. Die Flaute im Bett ist eher eine sachte Erinnerung daran, dass nun die Zeit gekommen ist, sich intensiv miteinander zu beschäftigen.
Zwei Dinge kann ich dir auf jeden Fall versprechen:
- Auch in der längsten Beziehung ist es noch möglich, immer wieder Phasen zu erleben, in denen man so richtig heiß aufeinander ist (inklusive dem Teil mit dem hemmungslosen Übereinanderherfallen!)
- Wenn du bereit bist, dich ordentlich darum zu kümmern und deine Komfortzone (und zwar meist nicht beim Sex selbst, sondern eher davor!) zu verlassen, wirst du genau das erleben können
Für beide Punkte findest du in den nächsten Zeilen alle wichtigen Details!
Flaute im Bett – schlimm ist es nicht, sie zu haben, sondern nur, nichts dagegen zu tun
Um herauszufinden, wie langweiliger Sex oder zu wenig Sex in Zukunft der Vergangenheit angehört, hat mich mein Kollege Nils Terborg aus Bochum interviewt.
Er war an meiner Sicht interessiert, was du tun kannst, wenn du eine Beziehung ohne Leidenschaft führst und wie genau der Weg hin zu traumhaftem Sex und dem (oft ja damit eng verbundenen) Gefühl von Nähe und Verbundenheit aussehen kann.
Damit deine Flaute im Bett bald der Vergangenheit angehört oder besser noch: Gar nicht entstehen kann!
Heißer Sex – oder doch Couch, Chips und Netflix?
Petra, du bist Sexual- und Paarberaterin und arbeitest seit vielen Jahren mit Paaren und Einzelpersonen, an deren Beziehungsglück – mit Schwerpunkt auf dem Thema Sex. Steigen wir gleich direkt in meine erste Frage ein: Die meisten Menschen haben ja eher ein anstrengendes Leben. Das bemerke ich bei mir selbst auch und manchmal zieht man dann doch eher einen faulpelzigen Abend auf der Couch vor. Ich frage mich dann manchmal schon: Warum ziehe ich gerade bitte Chips und Netflix einer sexuellen Begegnung mit meiner wunderbaren Partnerin vor? Und ganz im Ernst: Dinos sind wahrscheinlich durch irgendwelche Katastrophen ausgestorben. Blüht uns Menschen das gleiche Schicksal, aber einfach nur weil wir schlicht zu faul werden? Ich fände das fast etwas peinlich, muss ich gestehen 🙂
Petra Steiner: Nein, Aussterben werden wir deshalb nicht. 🙂 Denn zumindest den Akt der Fortpflanzungs-Sexualität betreiben wir auf jeden Fall, wenn der Kinderwunsch groß ist. Da geben ambitionierte Paare alles und es wird im Bedarfsfall auf den Eisprung geachtet, Temperatur gemessen und Sex nach Zeitplan durchgeführt. Dieses Schicksal wird uns also eher nicht ereilen. Warum wir aber Chips und Netflix einer sexuellen Begegnung oft vorziehen, hat zwei Gründe.
Erstens: Die meisten von uns stehen unter heftig viel Stress. Die täglichen Anforderungen des Lebens brennen uns gewissermaßen aus. Und am Abend steht Faul sein, sich berieseln lassen, oft vor dem Wunsch sexuell aktiv zu werden, weil die Müdigkeit groß ist.
Zweitens: Unser Bedürfnis nach Sexualität sinkt in langjährigen Beziehungen automatisch ab. Zu Beginn unserer Beziehung stellen wir durch die Sexualität Nähe zu unserem neuen Partner/unserer neuen Partnerin her. Je länger die Beziehung andauert, je mehr emotionale Nähe, Verbindlichkeit, Zusammengehörigkeit wir bereits aufgebaut haben, desto weniger „brauchen“ wir den Sex als „Klebebindung“.
Emotionale Nähe vs. sexuelle Spannung?
Die Hormone der anfänglichen Verliebtheit, während der wir gar nicht voneinander lassen konnten, senken sich nach einiger Zeit automatisch wieder ab und gehen in den Normalzustand über.
Dafür steigen die „ruhigeren“ Bindungshormone. Und aus meiner Perspektive ist das auch gut so. Auch wenn manche aufschreien möchten und meinen „Bitte nicht!“ 🙂
Zu Beginn unserer Beziehung, haben wir das Gefühl, gar nicht mehr ohne einander zu können.
Wir denken den ganzen Tag aneinander
Fiebern dem Zeitpunkt entgehen, uns endlich wieder zu sehen. Es ist gewissermaßen wie ein „Rauschzustand“. Ein Tunnelblick, durch den wir nur noch den Geliebten/die Geliebte im Fokus haben. Würde dieser Zustand nicht nachlassen, wären wir gewissermaßen gar nicht überlebensfähig.
Es ist schon gut so, dass Freundschaften, Familie, Arbeit, Hobbies, etc. auch wieder mehr Priorität eingeräumt wird.
Dann ist jedoch genau der Punkt gekommen, wo wir uns bewusst dafür entscheiden können, wie wir unsere Sexualität angehen möchten! Und das birgt ein sehr großes Potential in sich! Denn die junge Sexualität (also frisch verliebt) ist lust- und hormongesteuert.
Die reife Sexualität (in beständigen Partnerschaften, in denen das erste Hormon-Hoch – völlig natürlich – abgeflaut ist) habe ich selbst in der Hand. Wir können unsere Sexualität dann nach unseren Idealen kreieren. Das kann eine wundervolle Abenteuerreise werden!
Stressiger Leistungsdruck
Okay, die Nachricht, dass es noch Hoffnung gibt, klingt doch schon mal ermutigend! Ich glaube, das können viele Paare gebrauchen, die sich sowieso schon unter Druck setzen, weil es im Bett nicht mehr so läuft. Es ist ja oft immer noch so: Wenn ich gerade keine Lust auf Sex habe, fühle ich mich ein Stück weit als Versager. Hat Sex zu viel mit Leistung und Performance zu tun, die wir aus dem Arbeitsleben gewohnt sind?
PS: In der Werbung, in Hollywood und in Pornos werden wir von Scheinwelten überflutet. Überall sehen wir junge, willige Körper in aufreizenden Gewändern, ohne ein Gramm zu viel Körperfett, die sich – egal bei welcher emotionalen „Wetterlage“ – leidenschaftlich nach der sexuellen Vereinigung sehnen.
In unseren Köpfen ist der Leistungs- und Performance-Druck also durchaus hoch. Wir sind von diesen Bildern geprägt. Auch wir wollen attraktiv, erotisch und bereit sein. Wollen begehren und begehrt werden. Wollen eine „gute Performance“ abliefern, die uns zu einer leidenschaftlichen Verbindung mit unserem Partner/unserer Partnerin führt.
Ich bin häufig damit konfrontiert, dass Sexualität in den Köpfen vieler bedeutet, dass Sex nur Sex ist, wenn (im heterosexuellen Kontakt) Penis und Vagina zusammen kommen. Und ein Endziel – der Orgasmus – angesteuert wird.
Es gibt mehr als nur klassische Penetration!
Wenn diese Vorstellung in unserem Kopf präsent ist, dann geht es um Performance: Man(n) muss eine Erektion haben, Frau muss feucht sein, beide haben sich intensiv ins Geschehen zu werfen, den Kopf abzuschalten und sollen sich ganz hingeben, um ihr Ziel zu erreichen. Und genau das, bremst uns oft genug aus.
Denn: Fühle ich mich heute körperlich, emotional, energetisch, nicht „zum vollen Programm“ in der Lage, dann gehe ich lieber in die Vermeidungshaltung. Denn sonst könnte ich an der zu großen Erwartungen an meine sexuelle Performance scheitern. Dann lass ichs lieber ganz sein, weil ich heute nicht dem vermeintlichen Idealbild entsprechen kann/will. Anstatt für eine andere Art von Nähe zu sorgen. Diese eigene Erwartungshaltung macht Druck! Und Druck macht Unfrei!
Wenn wir uns bewusst machen können, dass wir unsere Sexualität selbst in der Hand haben. Dass wir sie nach unseren eigenen Wünschen gestalten können. Und dass es kein Ziel braucht, dass ich erreichen muss. Dann gewinne ich die Freiheit, um mich auch ohne leistungsorientierte Sexualität gut zu fühlen. Dann ist ein Nein zum sexuellen Akt und ein Ja zu Dingen wie Kuscheln und Schmusen (ohne dass mehr passieren muss) ein Befreiungsschlag. Nähe und Intimität kann auf ganz viele Arten hergestellt werden.
Oder doch einfach nur noch Kuscheln?
Gut, es gibt also Möglichkeiten, sich dem Leistungsdruck bewusst zu entziehen. Wie sieht es im anderen Fall aus, wenn eher der Sinn nach Faulenzen steht? Mal ganz konkret gefragt: Angenommen, ich liege abends neben meiner Partnerin im Bett. Wir kuscheln vielleicht sogar, haben aber beide keine Lust auf Sex. Was können wir in genau diesem Moment tun? Gibt es da überhaupt etwas?
PS: Ich finde, das ist ein wundervolles Bild, an dem es – aus meiner Sicht – überhaupt keine Veränderung braucht! Denn wenn ihr kuschelnd beisammen seid, euch dabei gut fühlt und beide keine Lust auf Sex habt, dann erlebt ihr gerade etwas Verbindendes, Nährendes, Bereicherndes.
Was gibt’s denn Schöneres, wenn sich beide gerade so einige sind? Beide genießen gerade genau das, wofür sie heute bereit sind. Wenn ich jetzt sage: „Aber heute muss es noch heiß hergehen“, dann spricht der Leistungsdruck, den niemand braucht… und vor allem: Wer bitte gibt den vor?!
Ja, vielleicht hilft es tatsächlich auch schon, kurz darüber nachzudenken, mit welchen Vorbildern man sich da bei der sexuellen Leistungsfähigkeit eigentlich misst. Und sich dann bewusst gegen Vergleiche zu entscheiden, bei denen man nur den Kürzeren ziehen kann. Und das ist bei den unrealen Konkurrenten aus Filmen oder Pornos ja eigentlich grundsätzlich der Fall.
Wenn man den Partner nicht mehr sexy findet…
Mir fällt aber gerade noch ein anderes Setting ein, das bei Paaren oft für eine Flaute im Bett sorgt. Nämlich dann, wenn die Anziehungskraft sich still und leise verabschiedet und plötzlich unauffindbar ist. Gibt es eine Möglichkeit, wie ich meinen Partner wieder attraktiv finde – beziehungsweise Lust auf ihn bekomme?
PS: In längeren Beziehungen, wo beide Jobs, Hobbys, Verpflichtungen und der Kindererziehung nachgehen, bleibt eines oft auf der Strecke: Der Bezug zum Mann bzw. zur Frau in der anderen Person. Zwei Menschen funktionieren mit- und nebeneinander, sind ein tolles Team, aber eines wird ausgelassen: Das sexuelle Wesen in sich selbst und in seinem Gegenüber. Und das lässt die Attraktivität und die Lust aufeinander oft rapide schwinden.
Um die gegenseitige Attraktivität und Lust wieder zu steigern, braucht es Zeit füreinander. Etwa in Form von gemeinsamen Gesprächen und bewusstem Beisammensein, wo keine Dinge des alltäglichen Lebens besprochen werden, sondern nur Persönliches. Wo kein Fernseher läuft, sondern sein Gegenüber alle Aufmerksamkeit bekommt. Regelmäßige Dates (ohne Kinder, ohne Freunde). Ein Wochenende zu zweit. Das müssen keine ewig geplanten, riesengroßen Sachen sein, aber bewusst miteinander gelebte Zeit, in der man sich gegenseitig widmet und sich wieder sieht.
Jeder möchte Aufmerksamkeit und Anerkennung!
Menschen wollen wahrgenommen werden! Dann schauen auch sie wieder genauer auf ihr Gegenüber hin. Ein paar Sätze, um zu transportieren, womit man in seine Beziehungsqualität investieren kann:
- Was mich heute an dir beeindruckt hat…
- Du hast mich damit so zum Lachen gebracht, das war herrlich.
- Diese Seite habe ich an dir gerade wieder entdeckt, die hatte ich schon fast vergessen.
- Kannst du dich noch an damals erinnern.
- Was ich schon lange wieder mal mit dir machen wollte…
- Ich war so stolz, dass du XYZ gesagt hast.
- Du bist so wundervoll, weil…
Und natürlich darf auch die Sexualität mit einfließen:
- Was mir an unserem Sex immer schon extrem gut gefallen hat, war …
- Worauf ich künftig gerne verzichten würde…
- Was ich stattdessen gerne mal ausprobieren würde….
- Was ich immer schon geliebt habe, ist wenn du…
- Warum ich dir gerne körperlich so nahe komme, ist…
- Was ich unglaublich intim finde, ohne tatsächlich Geschlechtsverkehr zu haben, ist…
Sich gegenseitig wieder die Position der Frau bzw. des Mannes einzuräumen, lässt das Gegenüber wieder wachsen. Man kann sich auf Augenhöhe begegnen. Auf einmal lohnt es sich, wieder einen zweiten Blick zu riskieren. Es wird wieder Intimität hergestellt und auf diesem Weg können die Attraktivität und die Lust aufeinander wieder ansteigen. Das Glitzern in den Augen kann wieder aufleuchten. Das Gefühl, sich zum Partner hingezogen zu fühlen und sich gegenseitige Bewunderung zu schenken, wird wieder aktiviert. Sich gegenseitig Aufmerksamkeit zu schenken, bringt die positive Aufwärtsspirale wieder ins drehen. Und zwar spürbar noch oben!
Fortschritt oder Akzeptanz?
Super, wir haben jetzt schon sehr, sehr viele konkrete Dinge an die Hand bekommen, mit der wir die Sexualität in unserer Partnerschaft wieder auf eine neue (oder alte!) Stufe bringen können. Es gibt natürlich auch den gegenteiligen Weg. Was hältst du von der Lösung, sich mit der Situation einfach abzufinden?
PS: Wenn es für beide okay ist, niemand ein Problem darin sieht und man sich einig ist, dass die Beziehung so gut ist, wie sie ist, dann spricht nichts dagegen, dass alles so bleibt. Jede Partnerschaft ist anders und jede darf so sein, wie es für die Personen richtig ist.
Sollte jedoch einer von beiden oder beide es als Problem sehen, sich dabei schlecht fühlen, die Partnerschaft in Frage stellen – dann finde ich, die Menschen sollten sich aufmachen und aktiv etwas verändern.
Das Unterstützungsangebot – in Form von Büchern, Online-Kursen, Partnerschaftsseminaren oder Beratungen – ist so vielfältig. Da wird bestimmt jeder fündig. Es ist nur eines dafür notwendig:
Sich auf die Suche zu machen und zu starten!
Und genau das ist vielleicht auch eines der schwierigsten Dinge: Menschen meinen, dass sie in der Sexualität alles alleine lösen können müssen. Ansonsten ist man „schwach, zeigt Blöße, hat versagt“.
Ich arbeite daran, genau dieses Tabu aufzubrechen, denn wir leben in einer Zeit, in der man Selbstbestimmt entscheiden kann – auch in seiner Sexualität. Wir machen Berufscoachings, gehen in Fitness-, Ernährungs- und Erziehungsberatung. Alles, um uns zu stärken, neue Sichtweisen zu integrieren und über uns hinauszuwachsen. Und ich frage mich: Wieso sollte ich diese Entwicklung in meiner Sexualität verpassen wollen?
Das Schöne ist: Sexualität ist veränderbar. Ich habe immer, egal in welchem Alter, die Möglichkeit mich neu zu entdecken, zu entwickeln, meine Sexualität anders zu gestalten.
Wie genau kann man sich „sexuell weiterentwickeln“?
Wie funktioniert das denn genau? Oft wird ja geraten, einfach das Kamasutra durchzuturnen. Auch Rollenspiele werden manchmal ausprobiert. Sind diese Lösungen nicht zu oberflächlich?
PS: Kommt ganz darauf an, was zur sexuellen Unlust geführt hat.
Sind zwei Menschen an sich nach wie vor heiß auf den gemeinsamen Sex, sagen aber Dinge wie „irgendwie geht mir die Routine auf die Nerven, sie lässt mich nicht mehr so richtig in die Gänge kommen“, dann kann es sehr hilfreich sein, wenn beide dafür aufgeschlossen sind, neue Spielarten auszuprobieren.
Liegt die Ursache des Problems jedoch tiefer, wird das nicht funktionieren. Dann muss ich mir zuerst die Kommunikation ansehen, die nonverbalen Botschaften, die gegenseitige Herangehensweise an die Sexualität, eingeschlichene Muster und wer sich wann, weshalb, wodurch sperrt oder schützt.
Das Kamasutra kann helfen, aber anders, als du denkst!
Aber um auf Kamasutra und Rollenspiele zurück zu kommen: Meiner Meinung nach steckt das Wesentliche nicht unbedingt darin, dass ich alles in die Realität umsetze. Aber wenn ich mich damit beschäftige und darüber spreche, bringe ich etwas in Bewegung. Denn das darüber sprechen kann ganz andere Perspektiven eröffnen, den Kopf wieder für neue Ideen frei machen und beleben.
Du siehst schon, worauf ich immer wieder hinauskomme:
In der Kommunikation liegt der Schlüssel zu guter Sexualität. Denn sie lässt uns in Kontakt bleiben. Durch Worte (und natürlich auch Taten) kann ich meinem Gegenüber zeigen, welchen Stellenwert er oder sie bei mir hat. Durch Worte kann ich das Kopfkino aktivieren. Kann ich mir neue sexuelle Welten eröffnen. Unser allergrößtes Lustorgan ist unser Gehirn! Das zu aktivieren zahlt sich allemal aus.
Schwierige Gespräche…
Du beschreibst sehr schön, wie hilfreich klärende Gespräche sein können und bist auch schon mehr ins Detail gegangen, als das sonst im Netz oft der Fall ist. Aber was, wenn mein Partner sich schwer damit tut, über das Thema Sex überhaupt einmal offen zu sprechen?
PS: Stimmt! Leider für viele ein ganz heikles Thema. Oft ist die Scham darüber zu sprechen größer als der Leidensdruck. Ängste davor, ob man sich dieses oder jenes überhaupt wünschen oder es sogar fordern darf. Die Furcht davor, den Anderen oder die Andere verletzen zu können, weil klare Aussagen persönlich genommen werden könnten.
Offen über sexuelle Probleme zu sprechen ist vielleicht kein leichter, aber definitiv ein ganz wichtiger Faktor. Nur so kann ich mich, meine Wünsche, Bedürfnisse, meine Grenzen überhaupt kommunizieren. So kann ich mich meinem Gegenüber wirklich zeigen.
Durchs Sprechen kann ich aus dem „Performance-Druck“ über den wir oben gesprochen haben tatsächlich aussteigen. Weil ich nicht mehr annehmen muss, dass die oder der Andere das so will, sondern wir unsere sexuelle Welt selbst bestimmen.
Es gibt Alternativen zum Sprechen!
Zu meinen Klientinnen sage ich immer: Worüber ihr auch immer sprechen wollt… wenn ihr es nicht aussprechen oder benennen könnt, dann schreibt es auf, zeichnet es oder macht Pantomime. Hauptsache ich habe die Möglichkeit zu erkennen, worum es wirklich geht. Die Worte finde dann ich.
Vielleicht kann diese Haltung auch Paaren helfen, das Schweigen aufzubrechen. Denn die Veränderung liegt in der Klarheit und der Bewusstheit darüber, was denn geändert werden möchte. Damit ist der erste und wesentlichste Schritt getan.
Sex nach Plan – anstrengend oder Allheilmittel?
Mal etwas ganz anderes: Was hältst du von dem Lösungsversuch, einfach Sex nach einem festen Plan zu haben? Ich habe das noch nie ausprobiert, habe es auch nicht vor und finde allein den Gedanken ganz schrecklich…wie siehst du das?
PS: Ich denke, dass wir von „Sex nach Plan“ eine falsche Vorstellung haben. Für viele bedeutet das in der Vorstellung: Wir machen uns für Samstag, um 19.00 Uhr ein Sex-Date aus, ziehen uns aus, legen uns hin und jetzt fangen wir einfach an. Daraus soll dann etwas Lustvolles entstehen. Diese Vorstellung ist nicht sonderlich verführerisch.
Wenn ich Paaren Sex-Dates empfehle – und das tue ich – dann habe ich hier jedoch einen anderen Zugang im Kopf.
Für Menschen mit vielen Verpflichtungen, mit unterschiedlichen Schichtdiensten, mit kleinen Kindern zuhause, etc. bleibt oft nur sehr wenig Zeit für sexuelle Kontakte. Wenn ich nun nicht völlig darauf verzichten möchte und für spontane Begegnungen eigentlich immer zu erschöpft bin, stellt ein Sex-Date eine wunderbare Alternative dar.
Dazu eine Zwischenfrage: Was planst du alles in deinem Leben? Und damit meine ich wirklich alles! Von A wie: Ausflüge machen, E wie: Essen kochen, F wie: Friseurtermine, K wie: Kabarettkarten besorgen, T wie: Trainieren gehen bis Z wie: Zähne putzen. Es gibt in unserem Leben Dinge, die wir täglich, wöchentlich oder vielleicht jährlich machen. Aber eines haben alle gemeinsam:
Für alles haben und planen wir uns Zeit ein. Wir nehmen sie uns. Wir tragen es fix in den Kalender ein. Interessanterweise ist (in den allermeisten Fällen) einzig und allein die Sexualität etwas, dass frei, spontan und zufällig passieren soll. Und diese Rechnung geht leider allzu oft nicht auf.
Nicht Sex, sondern freie Zeit einplanen!
Das Schöne an einem geplanten Sex-Date, ist, dass ich mich bereits tagelang darauf vorfreuen kann. Und die Vorfreude hat damit Zeit, auch die Lust anzustacheln.
Wir können uns bereits im Vorfeld liebevolle Botschaften schicken, worauf wir uns besonders freuen. Wir können uns – ganz bewusst – ein schönes Ambiente schaffen (Musik, Licht, Wäsche). Wir können – da wir uns ja Zeit füreinander eingeplant haben – ein gemeinsames Bad nehmen, etc. Und dann, ja dann, darf das geschehen, wozu an dem Tag beide Lust haben.
Und dass muss (im heterosexuellen Sex) nicht Penis in Scheide sein. Es könnte eine Massage stattfinden, man kann Oralsex haben, man kann sich eine erotische Geschichte vorlesen, das vereinbarte Sex-Date kann so gestaltet werden, wie es heute gerade passt.
Sex bietet so viel Abwechslungspotenzial!
Und es müssen auch nicht immer beide in Aktion treten. Es darf auch Abwechslung stattfinden: Einmal ist die Eine die Empfangende, die – in welcher Form auch immer – verwöhnt wird.
Und das nächste Mal ist der Andere der Empfangende, der – in welcher Form auch immer – verwöhnt wird. Hier gibt es ein ganz breites Spektrum, dass ich von Mal auf Mal immer weiter ausprobieren, testen, weiterentwickeln kann. In dem eigenen sexuellen Raum, den sich das Paar selbst gestaltet!
Und Nils, kannst du dir – unter diesem Gesichtspunkt – nun evtl. doch vorstellen, geplante Sex-Dates zu erleben? 🙂
Ja, natürlich schon deutlich besser. Als Mann setzt es mich ziemlich unter Druck, wenn ich weiß, dass ich morgen um 19 Uhr eine Erektion haben will. Es ist also vor allem die ganz spezifische Verbindung von Zeitpunkt und dem, was exakt genau so passieren muss – da steige ich dann aus. Insofern finde ich es sehr hilfreich, dass du darauf hinweist, dass Sex so viele verschiedene Spielarten umfasst. Dadurch kann ich mich von dem rein körperlichen Druck freimachen!
Über Bedürfnisse sprechen
Von früher aus meiner Datingphase ist mir eine häufige Aussage im Gedächtnis geblieben. Manche Frauen haben mir gegenüber gesagt, dass sie (nicht nur, aber auch) sexuell sehr schüchtern sind – obwohl sie Sex eigentlich schon möchten. Ich hätte in manchen Fällen natürlich nur zu gerne geholfen, aber mir damals schon gedacht, dass man da von außen vermutlich eher wenig machen kann. Was kann ich denn tun, wenn ich mich selbst zu prüde oder sogar sexuell langweilig finde? Vielleicht hat das ja auch einen ganz konkreten Grund …
PS: Ich nehme ein Praxis-Beispiel zur Erklärung, das ich jetzt natürlich nur im „Zeitraffer“ erklären kann. Aber ich denke es wird so greifbarer. Die meisten meiner Klientinnen sind 40+. Und hier gibt es ein ähnliches Muster, das selbstverständlich nicht auf alle Frauen umzulegen ist, aber oft Deckungen aufweist.
Viele Mädchen wurde als Kind zum nett sein, brav sein, gehorsam sein und angepasst sein erzogen. Die hörten etwa Dinge wie „Benimm dich anständig. So etwas macht ein Mädchen nicht. Beine zusammen. Mach dich nicht schmutzig. Dort (Vulva) greift man nicht hin.“
Damit wurde ihnen auf lange Strecken die Möglichkeit genommen, sich mit den eigenen Bedürfnissen und mit dem eigenen Körper in Verbindung zu setzen.
Die Erwartungen anderer loslassen
In der Pubertät kommen wir in eine Lebensphase, in der wir sehr stark am Außen orientiert sind:
- Wie kleidet sich das andere Mädchen, das ich bewundere? Wie präsentiert sie sich?
- Was zeigt mir die Mode- und Star-Welt?
- Was brauche ich, um gut bei Burschen anzukommen?
- Was muss ich machen, um als „gute Liebhaberin“ angesehen zu werden?
Die Mädchen und Frauen möchten gefallen. Und viele definieren ihren Selbstwert daran, wie gut sie alles für den Partner erfüllen.
Für Mädchen mit solchen Prägungen ist es so gut wie unmöglich mit dem Beginn der Sexualität zu bewussten, mit sich achtsamen, sexuellen Wesen zu werden. Dazu braucht es Zeit, um Erfahrungen zu sammeln. Um als Frau bei sich anzukommen. Um Bezug zu sich selbst zu nehmen. Um in den eigenen Körper hinein zu finden. Um Bedürfnisse wahrzunehmen und sich dann auch die Wichtigkeit einzuräumen, diese zu kommunizieren.
Es ist nie zu spät für eine glückliche Sexualität!
Ich arbeite mit Frauen, die dann sozusagen im „Nachreifungsprozess“ stehen, wo sie sagen: Das kann doch jetzt nicht alles gewesen sein? Ich will nicht mehr nur funktionieren? Wo bleiben meine Bedürfnisse? Wo bleibt meine Lust? Wo bleibt meine Befriedigung? Da muss es noch viel mehr geben! Und jetzt bin ich bereit, es mir zu holen!
Diese Frauen kommen – manche etwas früher, manche etwas später – an den Punkt, wo sie ihre eigenen Nähe suchen. Wo die Selbstbeobachtung und auch der Selbstwert steigen. Und wo sie beginnen, sich in den Mittelpunkt zu stellen. Und dann ist echte Veränderung möglich!
Mein Wunsch für junge und reife Frauen: Nehmt euch mindestens genauso wichtig wie euer Gegenüber. Sprecht über eure Bedürfnisse, auch wenn es zu Beginn holprig ist. Denn jedes Mal wieder darüber zu sprechen, macht es bald deutlich leichter. Dann kann eure Sexualität zu einer selbstbestimmten und erfüllenden Erfahrung werden! ♥
Liebe Petra, danke dir, für deine wertvollen Gedanken!
2 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Das kann ich 1:1 unterschreiben. Danke, Petra ,dass du es so auf den Punkt gebracht hast.
In meinen Coachings ist es meist genau das gleiche 🙂
Liebe Grüße
Claudia
Danke, liebe Claudia, für deine wertschätzenden Worte!!
Ein unglaublich spannendes und breites Feld in dem wir tätig sind! Wunderschön!! ♥
Viele liebe Grüße
Petra